Gleichgewicht, Konfession, Krieg. Henri de Rohan (1579-1638) und die internationalen Beziehungen in Europa

Promotionsvorhaben an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, betreut von Prof. Dr. Matthias Schnettger. Seit Juni 2017 gefördert durch die Studienstiftung des deutschen Volkes (Promotionsförderung


I. Hinführung

Krieg ist ein Thema, welches die Menschen schichten- und generationenübergreifend erfasst und sich in diversen Debatten niederschlägt. Vor dem Hintergrund einer „Kriegsverdichtung“ in der Frühen Neuzeit[1] setzt sich das Promotionsvorhaben zum Ziel, die politischen Vorstellungen und Konzeptionen des französischen Hochadligen und Söldnerführers Henri de Rohan (1579-1638) darzulegen und wissenschaftlich zu bewerten. Als Anführer der hugenottischen Partei am Friedensschluss von Alais (1629) beteiligt, betätigte er sich in späteren Jahren militärisch in Norditalien bzw. im Veltlin und fand im April 1638 in Folge einer Kriegsverletzung den Tod. Er gilt als hellsichtiger und wirkmächtiger Publizist seiner Zeit, weil seine Traktate und Abhandlungen, aber auch seine Memoiren und Briefe die kriegerischen Auseinandersetzungen der Zeit in gleichermaßen analysierendem und polemisierendem Duktus behandeln[2]. Leitend für deren Interpretation wird die Frage sein, auf welche Weise Henri de Rohan das Verhältnis der europäischen Mächte im Dreißigjährigen Krieg beschreibt und theoretisch erfasst. Nimmt man ein Gleichgewicht der europäischen Mächte an, führt dies zu der Frage, ob die zeitgenössischen Formen staatlichen Interagierens in Form einer konfrontativen Bipolarität zu lesen sind oder bereits Ansätze eines mehrgliedrigen Systems erkennen lassen.
Der Mehrwert des Forschungsvorhabens liegt in der wissenschaftlich bislang kaum erfassten Leitfrage, in welchem Umfang Vorstellungen eines Gleichgewichts bereits in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts handlungsleitend waren und welche Wechselwirkungen mit den Konfessionalisierungs- und Staatenbildungsprozessen der Zeit bestanden.

II. Thesen und Forschungszusammenhänge

  1. Im Zentrum der Mächteordnung des Dreißigjährigen Kriegs stand der französisch-spanische Antagonismus, der sich in den Schriften Henri de Rohans widerspiegelt.Die europäischen Dimensionen der an den böhmischen Aufstand anschließenden „Kriege und Krisen“ (Volker Press) begannen sich rasch zu entfalten[3]. Bereits zwischen 1612 und 1617 war in Norditalien ein Krieg um die Erbfolge in den Herzogtümern Mantua und Montferrat geführt worden, in dessen Fortgang sich eine französisch-spanische Allianz gegen den savoyischen Herzog Karl Emanuel I. ausbildete. Allerdings vollzog Frankreich im Laufe dieser Auseinandersetzung einen Bündniswechsel hin zum Herzogtum Savoyen, weil ein Eingriff Spaniens in die betroffenen Landstriche die Okkupation eines zentralen Alpenpasses im Sinne einer zweiten „Spanischen Straße“ ermöglicht hätte[4]. Nicht zuletzt aufgrund des anno 1621 endenden Waffenstillstands zwischen Spanien und den Generalstaaten manifestierte sich in Europa die Sorge vor einer habsburgischen Suprematie[5].
    Die Konflikte in Norditalien exemplifizieren die politischen Friktionen der Zeit[6], auf die Rohan in seinen Schriften regelmäßig Bezug nimmt. Rohan agierte ab Herbst 1630 zunächst auf venezianisches Geheiß im Mantuanischen Erbfolgekrieg, anschließend als Anführer französischer Truppen in Graubünden gegen habsburgische Truppen beider Linien[7]. Er kämpfte mit Verve, teils in Form waghalsiger Einzelaktionen in alpinen Höhenlagen, und dieses Engagement war seinem versatilen Verhältnis zum Königshaus zeitweilig förderlich, bis anno 1637 seine Abberufung durch Kardinal Richelieu erfolgte.
    Rohans Texten, die überwiegend vor Frankreichs offiziellem Kriegseintritt entstanden[8], ist nicht selten der Charakter von Erfahrungsberichten zu eigen. Ob die von Rohan schriftlich dargelegten Kriegserfahrungen dessen Handeln im Veltlin konkret beeinflussten, wird anhand der letzten Teile seiner Memoiren und mancher seiner Briefe zu untersuchen sein. Dass Rohan – wie viele seiner Zeitgenossen – seinem Denken und Handeln den französisch-spanischen Dualismus zu Grunde legte, dabei aber nicht verharrte, sondern ihn um weitere Fixpunkte anreicherte, lässt die detaillierte Interpretation der Quellen besonders vielversprechend erscheinen.

     
  2. Auf europäischer Ebene bildete sich bereits vor den Westfälischen Friedensschlüssen eine Form der Zwischenstaatlichkeit heraus, die sich nicht auf den habsburgisch-bourbonischen Gegensatz beschränkte, sondern ein weiter reichendes Gleichgewicht der Kräfte erkennen lässt.Henri de Rohans um 1630 begonnener und Richelieu gewidmeter Traktat De l’intérêt des princes et des États de la chrétienté kommentiert die europäische Außenpolitik des frühen 17. Jahrhunderts als Ganzes, indem er von einem französisch-spanischen Dualismus ausgeht, um diesen in ein differenziertes Gleichgewicht aller Beteiligten zu überführen. Diese Form von Zwischenstaatlichkeit wurde von Teilen der Forschung erst für die Jahre nach den Westfälischen Friedensschlüssen in Anspruch genommen: So argumentiert Repgen, dass Termini „wie aequilibrium, bilancia, contrepoids“ in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ihre Wirksamkeit entfaltet hätten und zuvor lediglich Gegenstand der „theoretischen Erörterung“ gewesen seien[9]. Seine Aussage, dass die Publizistik der Kriegsjahre „fast ganz ohne das Schlagwort équilibre“[10] auskäme, wird durch die Textbefunde bei Henri de Rohan widerlegt.
    Henri de Rohans pejorative Beschreibung der spanischen Monarchie kulminiert in der Allegorie einer „grande machine composée“, die sich wegen ihres massiven Eigengewichts selbst blockiere[11]. Die Schilderung mündet in die Unterstellung, die spanische Seite greife mit Hilfe des Papsttums in das Innere Frankreichs und anderer Staaten wie England ein, um gegenreformatorische Tendenzen aktiv zu fördern[12]. An anderer Stelle betont Rohan, dass Philipp II. durch den Übergriff auf Frankreich im späten 16. Jahrhundert den Plan einer „monarchie chrétienne“ verfolgt habe[13], was in dieser pointierten Malediktion einen Rückgriff auf die Vorstellung einer spanischen Universalmonarchie darstellt – unabhängig davon, dass der Begriff „Universalmonarchie“ semantisch unpräzise war[14].
    Bipolarität muss nicht auf zwei Mächte restringiert werden. Rohan war mit seiner Vorstellung eines mehrgliedrigen Staatengebildes alles andere als ein politischer Solitär, war es doch gerade Kardinal Richelieu, der in seinen außenpolitischen Konzeptionen der Vorstellung einer multipolaren Zwischenstaatlichkeit systemischen Charakters anhing[15]. Es wird anhand der weiteren Quellenlektüre zu klären sein, wie sich Rohans Ideen konkret darstellen und zu anderen außenpolitischen Konzepten der Zeit verhalten.

     
  3. Konfession und Politik traten während der 1620er- und 1630er-Jahre in ein komplexes Wechselspiel, das die Kriege der Zeit prägte und von Rohan um konfessionspolemische Volten angereichert wurde. Die Frage nach den Gründen für den Staatenbellizismus der Frühen Neuzeit verweist auf die Wechselwirkung zwischen Krieg und Staat; bisweilen ist gar von „Staatenbildungskriegen“ die Rede[16]. Den Grad zu taxieren, der der Konfessionalisierung hierbei als Movens zugesprochen werden darf, ist heikel. Schließlich gilt, dass seit dem Augsburger Religionsfrieden zahlreiche Friedensschlüsse dezidiert keiner transzendentalen Begründung folgten, obgleich sich die Handelnden stets zwischen legitimer Gewaltanwendung und Respekt vor dem religiösen Friedensgebot zu entscheiden hatten[17]. Diese Unterscheidung ist für den Werdegang von Henri de Rohan, der sich frappant von der üblichen Kirchenzucht im Calvinismus abhob[18], ursächlich und für die weitere Interpretation der Schriftquellen nicht unerheblich.
    Die reformierte Glaubensrichtung hatte sich zu einer Konfession mit einer latent politischen Stoßrichtung entwickelt, was in der Konsequenz bewirkt, dass die Gesetze und legislativen Kompetenzen im Frankreich des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts noch nicht säkular zu betrachten sind[19]. Diskursen dieser Art liegt die komplexe Frage zugrunde, ob der aktive Widerstand einem Anhänger der calvinistischen Glaubenslehre zustehe. Der Gehorsamspflicht gegenüber einer höheren Instanz steht die Legitimation eines kollektiven Widerstands gegen eine tyrannische Obrigkeit entgegen, was bisweilen komplizierte Aushandlungsprozesse evoziert[20]. Dass der Calvinismus auch das alltägliche Handeln zu begründen trachtete[21] und für Teile der französischen Nobilität im Allgemeinen wie auch Rohan im Speziellen noch um 1620 selbstverständlich war[22], ist eine für die Dissertation nicht zu vernachlässigende Perspektive. Aber zog Henri de Rohan, Anführer der oppositionellen Hugenotten, tatsächlich wie ein „Glaubenskrieger“[23] in die finalen Religionskriege? Inwiefern machte sich sein Staats- und Politikverständnis die Konfessionalisierung als Argument zunutze, um sein militärisches Handeln im Veltlin zu begründen?[24]
    Die Frage nach dem Ausmaß der Konfessionalisierung in Europa ist bislang nicht letztgültig beantwortet worden. Folgt man den gängigen Argumenten, so lässt sich für das Europa der Frühen Neuzeit eine mehr oder minder systematische Konfessionalisierung beobachten, welche die werdenden Staaten und den Alltag der Bevölkerung in vergleichbaren Dosen durchdrang und ihr Handeln anleitete[25] – ein Ansatz, der nicht unangemessen scheint, aber in demjenigen Moment Leerstellen aufweist, in dem er polyformen Vorgängen den Anschein von Uniformität verleiht. Kooperationen, die konfessionelle Grenzen überschritten, sind nämlich für das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges und des bourbonisch-habsburgischen Antagonismus der Zeit charakteristisch, wovon Rohans Schriften beredtes Zeugnis ablegen. Gemäß dem derzeitigen Arbeitsstand erachte ich Rohan insbesondere während der 1620er-Jahre durchaus als einen prononcierten Vertreter seiner Konfession – eine Haltung, die ihren Widerpart nicht nur in Louis XIII., sondern auch in Kaiser Ferdinand II. findet[26]. Dies lässt aber auch den Schluss zu, dass der von Rohan geführte Diskurs über das Interesse der „christlichen Staaten“ – eigentlich ein Widerspruch in sich[27] – und ihrer Repräsentanten ein multiples Verständnis von Staatsinteresse geriert, welches zwingend mit jenem von Kardinal Richelieu[28] und Hugo Grotius sowie anderer Theoretiker abzugleichen ist. Nicht zuletzt ist auf die regionalspezifischen Verhältnisse in Graubünden sorgfältig Bezug zu nehmen[29].

     
  4. Die biografischen Erfahrungen des Söldnerführers müssen sorgsam berücksichtigt und mit dem Phänomen der kollektiven Konfessionalisierung ebenso in Einklang gebracht werden wie mit anderen Akteuren und Verhaltensweisen.Die gegenwärtige Forschung tendiert dazu, die jeweiligen Akteure, ob staatlich oder in persona, als konstitutives Moment für zwischenstaatliche Beziehungen in Europa zu begreifen[30]. Ein Interpretationsgang, der vom jeweils Handelnden ausgeht, fügt sich stimmig zu dem zuvor Dargelegten, nimmt sich in kulturtheoretischer Hinsicht aber nicht unproblematisch aus. Verwiesen sei an dieser Stelle nur auf Bourdieu, der die Alternanz zwischen einer konstitutiven Sozialstruktur, dem Habitus, und dem scheinbar autarken Individuum treffend beschreibt[31]. Mutierte der Hugenotte gar zum Ideologen einer veränderten, auf Machtzuwachs als Staatsräson abzielenden Außenpolitik[32]? Der „Huguenot Warrior“ stand inmitten der Auseinandersetzung um die Legitimation aktiven Widerstands und musste sie, geprägt durch seine solitäre Haltung[33], mit den Konflikten der Zeit in Einklang bringen. Hinzu kommt, dass er zunächst als Antagonist der royalen Armee in Erscheinung trat, in späterer Zeit aber sein militärisches Engagement auf Richelieus Geheiß betrieb. Hierfür mag neben seiner Verwandtschaft mit den Bourbonen seine Zugehörigkeit zur Nobilität, aus der sich weite Teile des französischen Heeres rekrutierten, verantwortlich gewesen sein[34].
    Dass sich ausgerechnet die unmittelbar benachbarten Habsburger als die „champions du catholicisme“ gerierten[35], bewirkte in Frankreich einen latenten Furor, der die zwischenstaatlichen Interessen bis in den Dreißigjährigen Krieg hinein konfessionell auflud[36]. Der von Richelieu prononciert beschworene Friede der Christenheit war für ihn allein dadurch zu erreichen, eine Friedensordnung um die „Idee eines Gleichgewichts“ anzureichern, welches die habsburgische Übermacht „ausbalancierte“[37]. Dergestalt verdeutlicht sich eine konzeptionelle Nähe zwischen dem Leitenden Minister im Conseil du Roi und dem hugenottischen Publizisten als eine relevante Achse politischen Denkens inmitten der Kriegsgeschehnisse in Europa.

Quellenlage

Grundlegend für den Argumentationsgang werden die publizierten Schriften Rohans sein, und zwar der Traktat De l’Intérêt des Princes et des États de la Chrétienté sowie die kriegstheoretische, an Caesars Bellum Gallicum angelehnte Schrift Le Parfait Capitaine[38] und seine umfangreichen Memoiren. Diese Schriften liegen sämtlich in Drucken des 17. oder 18. Jahrhunderts vor, deren erste auch in einer (anonymen) deutschen Übersetzung und in einer wissenschaftlich validen Edition. Dieses Schrifttum bildet das Grundgerüst für weitere Schriftquellen Rohans, die in Form von Archivalien greifbar sind.
Zu zahlreichen Kriegsakten und Berichten treten mehrere hundert Briefe, welche das intellektuelle Raster verfeinern und bei Bedarf illustrieren sollen. Nicht alle dieser Korrespondenzen richten sich an Rohan oder wurden von diesem selbst verfasst, sind aber im Zuge der dargelegten Fragestellungen von Interesse.

  • Archives du Ministère des Affaires Étrangères (La Courneuve): Die teils mehrere hundert Blätter umfassenden Dossiers sind unter den Schlagworten „Mémoires et Documents“ rubriziert. Für die Dissertation unverzichtbar sind insbesondere mehrere nicht näher definierte Dokumente über die politischen Beziehungen zwischen Frankreich und Spanien anno 1634 (Espagne vol. 138), ein sechs Jahre zuvor erfolgter Briefwechsel mit Richelieu (France vol. 248), antifranzösische Kampfschriften des Jahres 1635 (Franc vol. 254) und eine narrative Darstellung außenpolitischer Verträge des 17. Jahrhunderts (France vol. 374ff.). Insgesamt sollen etwa 60 Dossiers durchgesehen und bei Bedarf vertieft bearbeitet werden.
  • Bibliothèque Nationale de France / Bibliothèque de l’Arsenal (Paris): In der Sammlung „Manuscrits français“ sind erneut zahlreiche Vertragsdokumente (MS Français 3742/3743) enthalten. Darüber hinaus sind dort Korrespondenz (etwa MS Français 3833) sowie diverse Lebensbilder (etwa MS Français 4107) von Rohan, aber auch Richelieu zu finden. Teilweise wurden diese in zeitgenössischen Drucken publiziert. Die bisherige Arbeitserfahrung zeigt aber, dass zwischen den Handschriften und diesen Drucken erhebliche inhaltliche Abweichungen festzustellen sind, worauf bei Bedarf interpretierend eingegangen wird. Insgesamt werden etwa 40 Dossiers zu bearbeiten sein.

Zusätzliche Schriftzeugnisse finden sich in der Bibliothèque de la Société de l’Histoire du Protestantisme français, der Bibliothèque Mazarine und der Bibliothek des Institut de France. Des Weiteren sind diverse Schriftstücke von Rohan bzw. aus Rohans Umfeld in den Staatsarchiven von Graubünden (Chur) und Zürich sowie in der Bibliothèque de Genève archiviert.

In Ergänzung zu Richelieu lohnt der Blick auf weitere zeitgenössische Autoren, deren Publikationen teilweise digital verfügbar sind, in erster Linie Hugo Grotius (De imperio circa sacra; De iure belli ac pacis). Zudem lässt sich neben zahlreichen Anonyma auf die beträchtliche Zahl von Schriften des Tübinger Theologen Theodor Thumm, der sich etwa zeitgleich zu Rohan als publizistischer Zelot hervortat, verweisen: Thumms anno 1619 erschienene Dissertation ist, der Provenienz des Autors entsprechend, von einem expressiven Luthertum grundiert und trägt den bezeichnenden Titel Misanthropia calvinistica. Gerade deshalb erscheint ein Vergleich vielversprechend, weil darzulegen wäre, ob distinkte konfessionelle Schriften und die ihnen inhärenten politischen Implikationen auch Ähnlichkeiten aufweisen. Nicht zuletzt ist dem Rückbezug auf ältere Postulate, insbesondere von Niccolò Machiavelli und Jean Bodin, aber auch Justus Lipsius oder François Hotman, Rechnung zu tragen.

Die Erörterungen Henri de Rohans sind von geschichtswissenschaftlicher Relevanz, weil sie den Diskurs über die Bellizität der Frühen Neuzeit aufgreifen. Sie entziehen sich einer kanonischen Schematisierung und entfalten stattdessen ein weitläufiges interpretatorisches Potenzial. Ob es sich bei den von Rohan propagierten staatlichen Zusammenschlüssen um ein System unterschiedlich starker Mächte oder um ein äquivalentes Gleichgewicht handelt, ist die Leitfrage der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Allen Detailfragen zum Trotz lässt sich konstatieren, dass keine rein dualistische Reziprozität zwischen Frankreich und Spanien bestand[39]. Henri de Rohan überführte diesen Antagonismus in dem Staatsinteresse dienliche Direktiven – ob er dies als ein Akteur, der „immer Bekenner des Staatsinteresses und Bekenner des Glaubens zugleich sein wollte“[40], tat, wird die weitere Arbeit erweisen.

Timo Andreas Lehnert

Kontakt: TimoALehnert(at)AOL.com

 


[1] Johannes Burkhardt, Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 2018, S. 58.

[2] Der Werdegang Rohans wurde bislang primär narrativ erschlossen; vgl. Jack Alden Clarke, Huguenot Warrior. The Life and Times of Henri de Rohan 1579-1638 (Archives internationales d’histoire des idées), The Hague 1966; Pierre Deyon, Solange Deyon, Henri de Rohan. Huguenot de plume et d’épée 1579-1638, Paris 2000. Andernorts wird Rohans Werdegang in die Geschichte des französischen Hochadels eingebettet; vgl. Jonathan Dewald, Status, Power, and Identity in Early Modern France. The Rohan Family 1550-1715, University Park (Pennsylvania) 2015; Éric Mension-Rigau, Les Rohan. Histoire d’une grande famille, Paris 2017. Eine präzise Skizze gewährt Klaus Malettke, Rohan, Henri, Herzog von (duc de), in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 8: Rembrandt bis Scharbel, hg. v. Traugott Bautz, Herzberg 1994, Sp. 559-570.

[3] Lucien Bély, Les relations internationales en Europe. XVIIe-XVIIIe siècles (Thémis Histoire), Paris 42013; Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 22013; Peter H. Wilson, The Thirty Years War. Europe’s Tragedy, Cambridge, MA 2009. Press bezieht die indirekten Engagements von Seiten Frankreichs während der 1620er-Jahre auf eine europäische Weitung des Kriegsgeschehens; vgl. Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1715 (Neue Deutsche Geschichte 5), München 1991, S. 230f.

[4] Andreas Wendland, Der Nutzen der Pässe und die Gefährdung der Seelen. Spanien, Mailand und der Kampf ums Veltlin 1620-1641, Zürich 1995, S. 79-85.

[5] David J. Sturdy, Fractured Europe 1600-1721 (Blackwell History of Europe), Malden/Oxford/Carlton 32007, S. 47f.

[6] Vgl. Sven Externbrink, Le cœur du monde. Frankreich und die norditalienischen Staaten (Mantua, Parma, Savoyen) im Zeitalter Richelieus 1624-1635 (Geschichte 23), Münster/Hamburg/London 1999 [zugleich Diss. phil. Marburg 1997].

[7] Clarke 1966, S. 183-187.

[8] Eine Ausnahme bilden jene Abschnitte von Rohans Memoiren, die seine Erfahrungen der 1630er-Jahre beinhalten. Publiziert wurden sie allerdings erst im nachfolgenden Jahrhundert; vgl. Henri de Rohan, Mémoires et Lettres de Henri Duc de Rohan, Sur la Guerre de la Valteline. Publiés pour la premiere fois, & accompagnés de notes géographiques, historiques & généalogiques, hg. v. M. le Baron de Zur-Lauben, 3 Bde., Genf 1758.

[9] Konrad Repgen, Der Westfälische Friede und die Ursprünge des europäischen Gleichgewichts, in: Jahres- und Tagungsberichte der Görres-Gesellschaft 1985 (1986), S. 50-66, hier S. 52; abweichend hiervon bereits Jahrzehnte zuvor Ludwig Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte, Krefeld 1948, S. 33.

[10] Repgen 1986, S. 54.

[11] Henri de Rohan, De l’intérêt des princes et des Etats de la chrétienté, hg. v. Christian Lazzeri (Fondements de la politique), Paris 1995, S. 169. Zur generellen Fragilität der spanischen Monarchie vgl. John H. Elliot, A Europe of Composite Monarchies, in: Past & Present 137 (1992), S. 48-71, hier S. 57f.

[12] Rohan 1995, S. 165.

[13] Ebd. S. 196.

[14] Franz Bosbach, Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der Frühen Neuzeit (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 32), Göttingen 1988 [zugleich Habil.schrift Bonn 1986], S. 88f.

[15] Roland Mousnier, L’Homme Rouge. Vie du Cardinal de Richelieu (Bouquins), Paris 1992, S. 507f.; Malettke, Klaus, Grundlegung und Infragestellung eines Staatensystems: Frankreich als dynamisches Element in Europa, in: Das europäische Staatensystem im Wandel. Strukturelle Bedingungen und bewegende Kräfte seit der Frühen Neuzeit, hg. v. Peter Krüger (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 35), München 1996, S. 27-62, hier S. 46.

[16] Johannes Burkhardt Die Friedlosigkeit der Frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität in Europa, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24/4 (1997), S. 509-574, hier S. 514.

[17] Franz Brendle, Anton Schindling, Religionskriege in der Frühen Neuzeit. Begriff, Wahrnehmung, Wirkmächtigkeit, in: Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, hg. v. dens., Münster 2006, S. 15-52, hier S. 16.

[18] Heinz Schilling, Die Kirchenzucht im frühneuzeitlichen Europa in interkonfessionell vergleichender und interdisziplinärer Perspektive – eine Zwischenbilanz, in: Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa, hg. v. dems. (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 16), Berlin 1994, S. 11-40, hier S. 30.

[19] Lothar Schilling, Normsetzung in der Krise. Zum Gesetzgebungsverständnis im Frankreich der Religionskriege (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 197), Frankfurt (Main) 2005 [zugleich Habil.schrift Köln 2003], S. 13-15.

[20] Richard Nürnberger, Die Politisierung des französischen Protestantismus. Calvin und die Anfänge des protestantischen Radikalismus, Tübingen 1948 [zugleich Habil.schrift Freiburg (Breisgau) 1944], S. 26f.

[21] Christoph Strohm, Recht und Jurisprudenz im reformierten Protestantismus 1550-1650, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 92 (2006), S. 453-493, hier S. 460f.

[22] Arlette Jouanna, Le Prince Absolu. Apogée et déclin de l’imaginaire monarchique, Paris 2014, S. 128f.

[23] Denis Crouzet, Les guerriers de dieu. La violence aux temps des troubles de religion (vers 1525-vers 1610) (Époques), 2 Bde., Seyssel 1990. Inwiefern der von Crouzet für das späte 16. Jahrhundert geprägte Begriff auch für die Zeit des Dreißigjährigen Krieges trägt, wird zu erarbeiten sein.

[24] Vgl. Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, hg. v. Walther Hofer (Friedrich Meinecke Werke 1), München 1957, S. 210.

[25] Heinz, Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. 1559-1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2), Paderborn 2007, S. 37-40.

[26] Robert Bireley, Ferdinand II, Counter-Reformation Emperor, 1578-1637, New York 2014.

[27] Henk Nellen, Hugo Grotius. A Lifelong Struggle for Peace in Church and State, 1583-1646, Leiden/Boston 2015, S. 373.

[28] Joseph Bergin, The Politics of Religion in Early Modern France, New Haven/London 2014, S. 121.

[29] Randolph C. Head, At the Frontiers of Theory. Confession Formation, Anti-Confessionalization and Religious Change in the Valtellina, 1520-1620, in: Konfessionalisierung und Konfessionskonflikt in Graubünden, 16.-18. Jahrhundert. Akten der historischen Tagung des Instituts für Kulturforschung Graubünden Poschiavo, 30. Mai bis 1. Juni 2002, hg. v. Georg Jäger u. Ulrich Pfister, Zürich 2006, S. 163-178.

[30] Heidrun Kugeler, Christian Sepp u. Georg Wolf, Einführung: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, in: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, hg. v. dens. (Wirklichkeit und Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit 3), Münster/Hamburg/London 2006, S. 9-35, hier S. 23f.

[31] Pierre Bourdieu, Strukturalismus und soziologische Wissenschaftstheorie. Die Unerläßlichkeit der Objektivierung und die Gefahr des Objektivismus, in: Ders., Zur Soziologie der symbolischen Formen (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 107), Frankfurt (Main) 112015, S. 7-41.

[32] Wolfgang Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart, München 32002, S. 109.

[33] Dewald interpretiert Rohan in geistesgeschichtlicher Hinsicht als einen Individualisten avant la lettre; vgl. Jonathan Dewald, Writing failure: aristocratic self-depiction in seventeenth-century France, in: Die ,Kunst des Adels’ in der Frühen Neuzeit, hg. v. Claudius Sittig/Christian Wieland (Wolfenbütteler Forschungen 144), Wiesbaden 2018, S. 23-36.

[34] Olivier Chaline, Les armées du Roi. Le grand chantier. XVIIe-XVIIIe siècle, Paris 2016, S. 18f.

[35] Roland Mousnier, L’assassinat d’Henri IV. 14 mai 1610 (Collection Folio. Histoire 45), Paris 1964, S. 102.

[36] Brian Sandberg, War and Conflict in the Early Modern World. 1500-1700 (War and Conflict Through the Ages), Cambridge/Malden 2016, S. 170.

[37] Hermann Weber, Une paix sûre et prompte. Die Friedenspolitik Richelieus, in: Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Heinz Duchhardt (Münstersche Historische Forschungen 1), Köln/Wien 1991, S. 111-129, hier S. 114.

[38] David Parrott, Richelieu’s Army: War, government, and Society in France, 1624-1642 (Cambridge Studies in Early Modern History), Cambridge/New York 2001, S. 28.

[39] Arno Strohmeyer, Theorie der Interaktion. Das europäische Gleichgewicht der Kräfte in der frühen Neuzeit, Wien/Köln/Weimar 1994 [zugleich Diss. phil. Wien 1991/1992], S. 128f.; vgl. Ernst Kaeber, Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der publizistischen Literatur vom 16. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1907 [zugleich Diss. phil. Berlin 1907], S. 31.

[40] Meinecke 1957, S. 224; abweichend William Farr Church, Richelieu and Reason of State, Princeton 1972, S. 508.


Empfohlene Zitierweise: Timo Andreas Lehnert – Gleichgewicht, Konfession, Krieg. Henri de Rohan (1579-1638) und die internationalen Beziehungen in Europa. In: Dreißigjähriger Krieg Online – Projekte, hg. von Markus Meumann (Online-Ressource; URL: https://thirty-years-war-online.projekte.thulb.uni-jena.de/projekte/timo-lehnert-henri-de-rohan [Datum des Aufrufs in eckigen Klammern]).