Leben im Krieg. Begegnungen mit der ‚entfesselten’ und der ‚gezähmten’ Bellona (1618-1763)

Dissertationsprojekt an der Otto-von-Gericke-Universität Magdeburg, betreut von Prof. Dr. Eva Labouvie (Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit und Geschlechterforschung)


Zur Einordnung in die Forschung

Fast alle Gesellschaften haben sich wie die gegenwärtigen bemüht, der organisierten Gewalt in Kriegen Grenzen zu setzen. Doch bleibt ebenso durchgängig festzuhalten, dass die Regeln für die Kriegsführung immer wieder gebrochen worden sind. Trotz militärischer Gesetzgebung und scharfer Disziplinierungsversuche kam es zu unzähligen Übergriffen, Plünderungen, Gewalttaten und Massakern an meist Wehrlosen, die in das Kampfgeschehen im Frontbereich oder im Hinterland verwickelt waren. Vor diesem Hintergrund unternimmt die Dissertation den Versuch, Lebenswelten von Menschen, die der Militär- und Zivilbevölkerung angehörten, in Kriegszeiten vergangener Jahrhunderte im mitteldeutschen Raum nachzuspüren. Dabei sollen besonders zwei Kriege und deren Auswirkungen auf den Kriegsalltag der Menschen untersucht werden:

Zum einen der Dreißigjährige Krieg (1618-1648), der als Söldnerkrieg par exellence gilt und stellvertretend für die ‚barbarische’, vormoderne Kriegsführung steht, geprägt von Disziplinlosigkeit und Gewaltexzessen. Zum anderen der Siebenjährige Krieg (1756-1763), der – bereits im zeitgenössischen Diskurs so lanciert – stellvertretend für die neue Kriegsführung des aufgeklärten Zeitalters steht, die sich durch eine zunehmende Professionalisierung des Kriegswesens und die Entwicklung hin zu einem Stehenden Heer mit größerer Einflussnahme auf Disziplin und ‚Manneszucht‘ auszeichnete. Kurz gesagt als Prototyp des ‚eingehegten, sauberen Krieges‘, der sich an Regeln hält[1] und in dem der Bürger „in seiner Behausung ruhig und ungestört bleibt, und gar nicht merkt, dass sein Land im Krieg ist, würde er es nicht aus den Kriegsberichten erfahren“[2].

Angesichts eines solchen Modernisierungsparadigmas, das mit fortschreitender gesellschaft-licher, ökonomischer und kultureller Modernisierung auch eine Humanisierung, ja gar ‚Zivilisiertheit’ des Krieges unterstellt, erwächst die Frage, ob sich eine klare Abgrenzung zwischen der entfesselten Gewalt der europäischen Konfessions- und Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts und der ‚gezähmten Bellona‘ des 18. Jahrhunderts[3] überhaupt nachweisen lässt. Dabei soll die Analyse des bereits besser aufgearbeiteten Dreißigjährigen Krieges als Ausgangspunkt und Folie für die Erforschung des bisher in derartiger Perspektive weniger berücksichtigten Siebenjährigen Krieges dienen. Die Erkenntnisinteressen des Dissertations-projektes gruppieren sich dabei um die Themenkomplexe des Verhältnisses von Soldaten und Zivilbevölkerung im Zusammenleben des Kriegsalltags, von Gewalt, Gewaltwahr-nehmung und deren Repräsentationen in den Quellen und schließlich der Verortung von Männern und Frauen im Krieg, der Geschlechterordnung im Kriegsalltag und des Wandels von Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen.

Vor dem Hintergrund der in den Quellen aufzufindenden und analysierten Gewalt-darstellungen wird schließlich zu hinterfragen und zu beurteilen sein, ob und in welcher Weise mit der Verstaatlichung oder Verobrigkeitlichung[4] des Heeres eine zunehmende Disziplinierung der Soldaten einherging, die auch abseits der eigentlichen Schlachtfelder ihre Gültigkeit behielt, bzw. ob mit den Veränderungen im Militärwesen auch ein verändertes Bewusstsein für erlaubte, kriegsgebundene Gewalt und unerlaubte, über die Logik des Krieges hinausgehende Gewalt geschaffen wurde und in welcher Weise sich Kontinuitäten und Brüche herausfiltern lassen.

Räumliche Einordnung und Quellenlage

Mein Untersuchungsgebiet umfasst die Regionen an Mittelelbe, unterer Saale und Harz, im Wesentlichen die Vorgängerterritorien des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt[5]. Ihre Lage an der Heerstraße von Ost nach West wie auch die Bedeutung, die den Flüssen Elbe und Saale als wichtigen Verkehrsadern zukam, führten unweigerlich zu einer intensiven Einbindung dieser Gebiete in kriegerische Ereignisse. Hinzu kam besonders für den Dreißigjährigen Krieg, dass man dort vor dem Krieg in der Landwirtschaft Überschüsse erwirtschaftet hatte. Somit war der militärische Zugriff auf diese Gegenden gleichbedeutend mit der Aussicht auf Kontributionen und der gesicherten Nahrungsmittelversorgung für die Heere[6] – in Zeiten des Prinzips „bellum se ipsum alet“ („der Krieg ernährt den Krieg“) ein nicht zu unterschätzender Faktor. Durch eben jene pragmatisch begründeten Begehrlichkeiten in Kombination mit der politischen Lage wurden die von mir betrachteten Regionen immer wieder zu bevorzugten Kriegsschauplätzen oder Durchzugsgebieten der verschiedenen Heere, mit allen damit in Verbindung stehenden Auswirkungen. In den ersten Jahren durch die politische Rolle Christians von Anhalt (1568-1630), des Begründers der protestantischen Union, oder des Halberstädter Administrators Christian von Braunschweig (1599-1626), durch die medien-wirksame Belagerung und Zerstörung Magdeburgs, wie auch nach 1631 durch die kontinuierlichen Auseinandersetzungen kaiserlicher bzw. nach 1635 (Prager Friede) kursächsischer und schwedischer Truppen um die Vorherrschaft in Mitteldeutschland[7]. Was den Siebenjährigen Krieg anbelangt, so war die nach dem Dreißigjährigen Krieg erfolgte Eingliederung etlicher Kernterritorien in Brandenburg-Preußen derjenige Umstand, der den Krieg in diese Gegend trug. Infolgedessen wurden das Herzogtum Magdeburg, das Stift Quedlinburg (nunmehr auch in preußischer Hand), die Gegend um Halberstadt und auch die Anhaltinischen Fürstentümer zum Tummelplatz der verschiedenen Kriegsparteien.

Zu diesen Vorgängen stehen in den Landesarchiven in Magdeburg, Wernigerode und Dessau, in einigen Stadtarchiven wie Eisleben, Schönebeck und Magdeburg, wie auch im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin umfangreiche Aktenbestände zur Verfügung. Zur Untersuchung herangezogen wird dabei ein Konglomerat an Quellen verschiedener Provenienz, darunter das umfangreiche Verwaltungsschriftgut aus den betroffenen Ämtern, d.h. Korrespondenzen von Amtsleuten, Pfarrern, Magistraten und der landesherrlichen Obrigkeit, Untersuchungsprotokolle, Inquisitions-Akten, Schadenslisten, Beschwerden, private Korrespondenzen, aber auch ungedruckte und bereits veröffentlichte Selbstzeugnisse.

Methodische Verortung und Herangehensweise

Das Projekt ordnet sich durch seine methodische Herangehensweise der mikrohistorischen Betrachtung (u. a. Clifford Geertz, Carlo Ginzburg), der historisch-anthropologischen Zugangsweise (u. a. Pierre Bourdieu, Hans Medick, Richard van Dülmen) und seine Anknüpfung an die Theorien und Methoden der historischen Genderforschung in die kulturwissenschaftlich orientierte Geschichtswissenschaft (neuere Kulturgeschichte) ein.

Um der angestrebten Fragestellung nachgehen zu können, wird zunächst eine vergleichende Bestandsaufnahme für beide Kriege unternommen, um das soziale, organisatorische und formale Bedingungsgefüge wie auch prägende Charakteristika der Kriegsführung für das 17. und 18. Jahrhundert festzuhalten. Ausgehend von den jeweils spezifischen Rahmen-bedingungen werden auf der praktischen Ebene in einer historisch-anthropologischen Zugangsweise anhand der oben aufgeführten Quellen die Auswirkungen des Krieges auf den Alltag der Menschen untersucht. Dazu liegt der Fokus zunächst auf den Lebensumständen der Militärbevölkerung (soziales Gefüge/familiäre Bindungen innerhalb der Heere, Versorgung und Beuteökonomie etc.), um Kontinuitäten und Brüche und deren Bedeutung für den Auswirkungsgrad des Krieges zu eruieren. Um eine angemessene Berücksichtigung der Zivilgesellschaft[8] als weiterem wichtigen Akteurskreis und Teilnehmer am Kriegstheater zu erreichen, nutzt die Arbeit als Analysekategorien für beide Kriege im Vergleich verschiedene Schnittstellen des Zusammentreffens von militärischer Welt und Zivilgesellschaft anhand situativer Zuordnungen in den Handlungsrahmen von Einquartierung, Truppendurchzug und Belagerung. Ein besonderer Schwerpunkt liegt der Natur der Sache folgend dabei auf der Analyse der Darstellung von Gewaltsituationen mit unterschiedlicher Gewaltrichtung (Soldaten vs. Zivilisten und umgekehrt, zudem die Unterscheidung in Gewalt gegen Männer/Gewalt gegen Frauen) unter Einbeziehung ihrer semantischen Verarbeitung und Repräsentation. D.h., wie werden Gewalthandlungen aus verschiedenen Perspektiven und mit unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben dargestellt und was sagt dies über die Wahrnehmung der darin agierenden Menschen aus? Innerhalb dieser Betrachtungsebenen dient die geschlechtergeschichtlich orientierte Analyse der in beiden Kriegen aufscheinenden Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen als eine Art Lackmustest, um Veränderung sichtbar zu machen.

Besonders über die Kategorie Gender und die Analyse von Gewaltsituationen lässt sich meines Erachtens aufzeigen, auf welchen Ebenen der unzweifelhaft stattgefundene organisatorische und konzeptionelle Wandel in der Kriegsführung im 18. Jahrhundert auch im Alltag der Menschen spürbar wurde und wie gesellschaftliche Diskurse diesen Wandel initiierten und reproduzierten. Die Meistererzählung von der eigenen Zivilisiertheit, wie sie die Gesellschaft in der Mitte des 18. Jahrhunderts zum Ideal erhoben hatte, blieb nicht ohne Folgen auf die vorherrschende Geschlechterkonstruktion. Schutzbedürftige Weiblichkeit war unvereinbar mit der in den Krieg mitziehenden Soldatenfrau (im Gegensatz zum Dreißig-jährigen Krieg), Männlichkeit und, wie der Begriff bereits andeutet, „Mannszucht“ sollten sich nunmehr durch Affektkontrolle, Selbstbeherrschung und Disziplin konstituieren. Daher wurde das Gewaltverhalten gegenüber Frauen zum Gradmesser für Männlichkeit und ehrenvolles Verhalten. Aber auch die Grenzen dieses Prozesses können aufgezeigt werden, denn auch aus dem Siebenjährigen Krieg sind zahlreiche Übergriffe auf die Zivilbevölkerung überliefert, die der vermeintlichen Zähmung der Kriegsfurie widersprechen. Anhand der Analyse wie auch der Einordnung dieser Vorfälle kann gezeigt werden, in welchen Bereichen und unter welchen Umständen die Zivilisierung des Krieges hinter den Ansprüchen des Diskurses deutlich zurückblieb.

Stefanie Fabian

Kontakt: stefanie.fabian(at)ovgu.de

 


[1] Vgl.: Ralf Pröve, Vom ius ad bellum zum ius in bello. Legitimation militärischer Gewalt in der Frühen Neuzeit, in: Claudia Ulbrich, Claudia Jarzebowski, Michaela Hohkamp (Hrsg.), Gewalt in der Frühen Neuzeit (Historische Forschungen; 81), Berlin 2005, S. 261-270, hier S. 270.

[2] Friedrich II. in seinem politischen Testament 1768, zit. n. Stephanie Schwarzer, Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Ästhetisierung kriegerischer Ereignisse in der Frühen Neuzeit (Forum Kulturwissenschaften; 6), München 2006, S. 73, Anm. 57.

[3] Diese Einschätzung wurde vor allem von der älteren Forschung vertreten (vgl. Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des ‚Militarismus’ in Deutschland, Bd. 1: Die Altpreußische Tradition (1740-1890), München 1959) und ist in der hier zugespitzten Form mit der Polarisierung der beiden Kriege natürlich nicht unkommentiert stehen geblieben. Gerade in den letzten Jahren sind einige Aufsätze erschienen, die sich mit dem Mythos des eingehegten Krieges kritisch auseinandersetzen, vgl. z.B. Marian Füssel, Die Aasgeier des Schlachtfeldes. Kosaken und Kalmücken als russische Irreguläre während des Siebenjährigen Krieges, in: Stig Förster, Christian Jansen, Günther Kronenbitter (Hrsg.), Die Rückkehr der Condottieri? Krieg und Militär zwischen staatlichem Monopol und Privatisierung. Von der Antike bis zur Gegenwart (Krieg in der Geschichte; 57), Paderborn 2010, S. 141-152; Ronald G. Asch, Auf dem Weg zum gezähmten Krieg? Kriegführung und Kriegsgräuel in der Frühen Neuzeit, in: Das Markgräflerland 2 (2007): Kriege, Krisen und Katastrophen am Oberrhein vom Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit, S. 11-31; Frank Göse, Der Kabinettskrieg, in: Dietrich Beyrau, Michael Hochgeschwender, Dieter Langewiesche (Hrsg.), Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart, Paderborn 2007, S. 121–147; Sven Externbrink, Die Grenzen des „Kabinettskrieges“. Der Siebenjährige Krieg 1756-1763, in: Thomas Jäger, Rasmus Beckmann (Hrsg.), Handbuch Kriegstheorien, Wiesbaden 2011, S. 350-356.

[4] Michael Kaiser, Das stehende Heer – ein fragiles Machtinstrument. Zur Struktur- und Sozialgeschichte einer frühneuzeitlichen Institution, in: Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen an der Donau 195 (2004), S. 203. 

[5] Darunter das Stift Quedlinburg, das Erzstift und spätere Herzogtum Magdeburg, die Harzgrafschaften und die Anhaltinischen Fürstentümer. Mit Werner Freitag sehe ich den Raum Sachsen-Anhalt trotz fehlender administrativer Kontinuität als einheitliche Geschichts- und Kulturlandschaft (Werner Freitag, Regionalgeschichte, Landesgeschichte, Bundeslandgeschichte. Zu den Möglichkeiten sachsen-anhaltinischer Landesgeschichtsforschung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, in: Sachsen und Anhalt 24 (2003), S.73-82, hier S. 76.

[6] Vgl. Lutz Miehe: Zerstörungen durch den Dreißigjährigen Krieg in westelbischen Städten des Erzbistums Magdeburg und des Hochstiftes Halberstadt, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, (1990) H. 4, S. 31-47, hier S. 36.

[7] Vgl. Markus Meumann, Forschungen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges im heutigen Sachsen-Anhalt. Eine kommentierte Bibliographie 1700 bis 2010, online verfügbar unter: https://thirty-years-war-online.projekte.thulb.uni-jena.de/fileadmin/user_upload/ThULB_Projektseite_Thirty_Years_War_Online/Biblio_Sachsen_Anhalt_2010.pdf (26.04.2017), S. 2.

[8] Mir ist dabei bewusst, dass die Trennschärfe zwischen Militär- und Zivilbevölkerung generell ob der großen sozialen Mobilität sehr schwierig ist. Die hier angenommene Polarisierung basiert daher eher auf einer lebensweltlichen Unvereinbarkeit denn auf einem generellen, auf sozialer Gruppenzugehörigkeit basierenden Antagonismus. Das Gegeneinander bezieht sich vornehmlich auf die Konkurrenzsituation im direkten Moment des Konfliktes, in der die divergierende Interessenlage häufig zu einer erbitterten feindseligen Haltung führte. Vgl. u. a.: Michael Kaiser: Die Söldner und die Bevölkerung. Überlegungen zu Konstituierung und Überwindung eines lebensweltlichen Antagonismus, in: Stefan Kroll, Kersten Krüger (Hrsg.), Militär und ländliche Gesellschaft in der frühen Neuzeit (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit; 1), Münster u.a. 2000, S. 79-120.


Empfohlene Zitierweise: Stefanie Fabian – Leben im Krieg. Begegnungen mit der ‚entfesselten’ und der ‚gezähmten’ Bellona (1618-1763). In: Dreißigjähriger Krieg Online – Projekte, hg. von Markus Meumann (Online-Ressource; URL: https://thirty-years-war-online.projekte.thulb.uni-jena.de/projekte/stefanie-fabian-leben-im-krieg [Datum des Aufrufs in eckigen Klammern]).