Der Staatsbildungskrieg vor Ort. Der Dreißigjährige Krieg in der Oberpfalz.
Dissertationsprojekt an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, betreut von Prof. Dr. Birgit Emich (Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit). Das Promotionsvorhaben ist Teil eines seit Oktober 2015 laufenden DFG-Projekts.
Inspiriert vom Konzept der „empowering interactions“ (André Holenstein) möchte das vorliegende Projekt untersuchen, inwiefern im Dreißigjährigen Krieg Prozesse einer „Staatsbildung von unten“ nachzuweisen sind. Anhand lokaler Herrschaftspraktiken in der Oberpfalz sollen somit die Auswirkungen administrativer Kriegsbewältigungsstrategien überprüft werden: Waren sie lediglich geeignet, Akzeptanz für besondere Kriegsbelastungen wie Einquartierungen oder Kontributionen zu generieren, oder führten sie über den unmittelbaren Kriegszusammenhang hinaus zu einem dauerhaften Wandel im Umgang zwischen Obrigkeit und Untertanen? Dieser Frage geht das vorliegende Projekt in einer praxeologischen Perspektive nach. Dabei sind herrschaftliche Amtsträger wie Untertanen als Akteure zu fokussieren, deren administrative Praktiken einen Wandel der Verwaltungskultur im Krieg erkennbar werden lassen. Anhand dieser Befunde wird dann zu klären sein, ob der Dreißigjährige Krieg auf lokaler Ebene die Voraussetzungen schuf, auf denen die beschleunigten Staatsbildungsprozesse des späteren 17. und 18. Jahrhunderts aufbauten.
Der Große Krieg und „Staatsbildung von unten“
Die Untersuchung des Zusammenhangs von Krieg und Staatsbildung blickt in der Frühneuzeitforschung auf eine lange Tradition zurück, in der besonders Zusammenhänge von Kriegsfinanzierung und Steuerstaat, Diplomatie oder Verfassungsfragen Beachtung fanden.[1] Demgegenüber fordert die Neuere Kulturgeschichte für die Erforschung von Staatsbildungsprozessen zunehmend eine „Perspektive von unten“ ein, die „Herrschaft als soziale Praxis“ (Alf Lüdtke) versteht und damit auch verstärkt administrative Praktiken in den Fokus nimmt.[2] Kriegszeiten wie der Dreißigjährige Krieg blieben hierbei jedoch bisher weitgehend ausgespart. Dies erscheint erstaunlich, da sowohl ältere Arbeiten als auch jüngere, erfahrungsgeschichtliche Studien die zentrale Rolle fürstlicher Amtsträger für die Bewältigung des Krieges vor Ort betonen und diesen Erfolge bescheinigen: Neben ihrem zivilen „Alltagsgeschäft“ organisierten sie Schutzmaßnahmen, verhandelten im Namen ihrer Amtsuntergebenen mit dem Militär und sorgten für eine gleichmäßige Verteilung der Kriegslasten.[3] Verbunden mit dem beobachtbaren Ausbau der Staatsgewalt auch während des Krieges[4] erscheint somit eine Untersuchung lokaler Verwaltungspraktiken, die zu einem „statebuilding from below“ (André Holenstein) in Zeiten des Krieges beigetragen haben dürften, vielversprechend.
Untersuchungsraum und Quellen
Dies soll im vorliegenden Projekt exemplarisch anhand des Fürstentums der Oberen Pfalz geschehen. Das zu Kriegsbeginn kurpfälzische Territorium in direkter Nachbarschaft zu Böhmen war von Anfang an in die Kriegshandlungen einbezogen und blieb bis nach dem Westfälischen Frieden 1648 beständig Schauplatz von Truppendurchzügen, wechselnden Besetzungen und Gefechten. Besonders empfiehlt es sich jedoch als Untersuchungsgebiet aufgrund des Herrschaftswechsels, der sich hier 1621 nach dem Sturz des Winterkönigs vollzog: Der Kaiser übertrug das evangelische Territorium nämlich dem katholischen Herzog Maximilian I. von Bayern zuerst kommissarisch, 1628 schließlich dauerhaft. Durch diesen Wechsel der Landesherrschaft wurde die Oberpfalz bereits während des Krieges Schauplatz einer zunehmend rücksichtslos vorangetriebenen Gegenreformation, der sich sehr früh in einer konsequenten Rekatholisierung der Beamtenschaft äußerte. Die daraus resultierende konfessionelle Distanz zwischen Herrschaft (bzw. Herrschaftsvermittlern) und Untertanen, die insbesondere nach dem Restitutionsedikt 1629 auch zahlreiche weitere Reichsterritorien betraf, ermöglicht somit die Erörterung der Frage, ob und wie in Kriegszeiten jenseits konfessioneller Identifikationen Loyalitäten zu generieren waren[5]. Durch den Vergleich verschiedener Amtsbezirke innerhalb des Fürstentums sollen zusätzlich die Auswirkungen unterschiedlicher gegenreformatorischer Strategien der lokalen Beamten sichtbar gemacht werden. Die hierfür erforderliche intensive Untersuchung spezifischer lokaler Verhältnisse wird auch durch die günstige Quellenlage für den Untersuchungsraum ermöglicht: Neben seriellen Quellen wie Steuer- und Kirchenbüchern bieten insbesondere zahlreiche erhaltene Amtskorrespondenzen zwischen Ortsbeamten, der Amberger Regierung und dem Münchener Hofkriegsrat Einblicke in verschiedenste Bereiche administrativer Tätigkeit.[6] In Berichten, aber auch angehängten Suppliken und Zeugenaussagen kommen dabei neben den korrespondierenden Beamten immer wieder die Untertanen selbst zu Wort und ermöglichen damit auch eine Rekonstruktion der Außenperspektive auf das Funktionieren der Verwaltung.
Methode und Fragestellung
Das Projekt verortet sich in einer Kulturgeschichte der Verwaltung, die Verwaltung im Sinne eines „doing culture“[7] als Ensemble kultureller Praktiken untersucht. Dabei soll überprüft werden, inwiefern die Situation des Krieges „empowering interactions“[8] zwischen Untertanen und Behörden hervorbrachte, die sich habitualisierten und auf nicht kriegsspezifische Tätigkeitsfelder der Verwaltung übertrugen, um dort über den Krieg hinaus einen dauerhaften Wandel der Verwaltungskultur herbeizuführen. Die dieser Kultur zugrundeliegenden unterschiedlichen und teils widerstreitenden Verhaltenslogiken sind dabei besonders zu berücksichtigen: So müssen etwa Patronage-Verhältnisse, konfessionelle Frontstellungen, aber auch ökonomischer Opportunismus etc. einbezogen werden. Um diese theoretisch konstruierten Zusammenhänge am historischen Material zu überprüfen, bedarf es einer genauen Untersuchung der administrativen Praktiken, an denen Untertanen und Amtsträger bis hin zum bayerischen Herzog beteiligt waren. Im Mittelpunkt der Studie stehen damit zwei Kommunikationsfelder und die hier angelagerten Praktiken: einerseits die „Außenkommunikation“ der Untertanen mit ihrer Verwaltung, andererseits deren interne Korrespondenz zwischen Amtsträgern und Behörden. Für die Außenkommunikation erscheint dabei einerseits die gezielte Einflussnahme der Untertanen in Form von Suppliken, Klagen und Gesuchen bedeutsam. Neben Aufbau und Semantik solcher in der Regel verschriftlichter Adressierungen der Obrigkeit ist hier zu prüfen, welche Problemfelder thematisiert wurden und wie sich das Klageaufkommen im Laufe des Krieges entwickelte. Vor allem muss jedoch die Verarbeitung solcher Initiativen durch die Verwaltung untersucht werden, wobei dem Entscheidungsverhalten und dessen Maximen besondere Bedeutung zukommt. Schließlich spiegeln sich in Suppliken und Beschwerden lokale Beziehungen zwischen Untertanen und Ortsbeamten wider, die ebenfalls beleuchtet werden. Ähnliches gestattet andererseits eine Betrachtung der Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung bei herrschaftlichen Initiativen, etwa der Teilnahme an Streifen oder der Zahlung von Abgaben. Insbesondere sind hierbei die Umstände einer Verweigerung einem genaueren Blick zu unterwerfen. Darüber hinaus muss aber auch die amtliche Korrespondenz untersucht werden. Hier kann die Art der Erwähnung von Untertanen(-gruppen) gegenüber übergeordneten Behörden, insbesondere in Interventionen oder Stellungnahmen zu Gesuchen oder Klagen gegen diese, das Verhältnis von Ortsbeamten und Untertanen genauer erschließen. Dabei ist stets zu prüfen, auf wessen Veranlassung derartige Stellungnahmen erfolgten und wie sie in Relation zu ähnlichen Schriftstücken ausfielen. Weiterhin ermöglichen aber auch Verwaltungs- und Justizentscheidungen vor Ort, etwa die Zuteilung von Quartieren oder Dienstpflichten, derartige Rückschlüsse. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass einige Ortsbeamte zusätzlich als Kriegskommissare eingesetzt wurden und damit weitere Möglichkeiten erhielten, sich für oder gegen ihre Amtsuntertanen einzusetzen. Immer wieder kam es dabei auch zu Interessenkonflikten zwischen Untertanen und Landesherr, in denen Ortsbeamte Stellung zu beziehen hatten, sodass soziale Verflechtungen der Amtsträger hier besonders deutlich hervortreten dürften. Dieses Verfahren ist einerseits für die Kriegszeit selbst, darüber hinaus jedoch auch für die Vor- und Nachkriegszeit anzuwenden. Um die Dauerhaftigkeit von Veränderungen administrativer Praktiken über die Kriegsgeneration hinaus zu beurteilen, orientiert sich das Projekt beim Untersuchungszeitraum an den Landesherren; es beginnt daher mit dem Regierungsantritt Friedrichs V. von der Pfalz 1610 und endet mit dem Tod des ersten Nachkriegsregenten Ferdinand Maria von Bayern 1679. Um die lokalen Verhältnisse für diesen langen Zeitraum angemessen erforschen zu können, werden ausgewählte Amtsdistrikte des Fürstentums vergleichend analysiert. Dies bietet zusätzlich den Vorteil einer besseren Einschätzung, inwiefern individuelle Einflussfaktoren wie die konkrete Lage vor Ort, aber auch die Person des Ortsbeamten das Verhältnis von Obrigkeit und Untertanen prägten. Damit soll es möglich werden, einerseits allgemeine Strukturen des Wandels administrativer Praktiken durch den Krieg herauszuarbeiten, andererseits die Diversität lokaler Entwicklungen zu würdigen, die als konkrete Realisierung von Verwaltungskultur betrachtet werden können.
Johannes Kraus, M.A.
Kontakt: joh.kraus(at)fau.de
[1] Vgl. die Forschungsüberblicke etwa bei Ronald G. Asch, Staat (Frühe Neuzeit), in: Enzyklopädie der Neuzeit Bd. 12, Stuttgart 2010, S. 494-509, hier S. 503-506; Bernhard R. Kroener, Kriegswesen, Herrschaft und Gesellschaft 1300-1800, München 2013; Frank Tallett, D. J. B. Trim (Hrsg.), European Warfare. 1350-1750, Cambridge u.a. 2010; Peter Wilson, The Thirty Years War. Europe’s Tragedy, Cambridge 2009, S. 807-812.
[2] Forschungsüberblick etwa bei Joachim Bahlcke, Landesherrschaft, Territorien und Staat in der frühen Neuzeit, München 2012, S. 80-85; siehe auch Wim Blockmans, André Holenstein, Jon Mathieu (Hrsg.), Empowering Interactions. Political Cultures and the Emergence of the State in Europe 1300-1900, Farnham/Burlington, VT 2009; Stefan Brakensiek, Corinna v. Bredow, Birgit Näther (Hrsg.), Herrschaft und Verwaltung in der Frühen Neuzeit, Berlin 2014; Arndt Brendecke, Imperium und Empirie. Funktionen des Wissens in der Spanischen Kolonialherrschaft, Köln u. a. 2009; Dagmar Freist, Staatsbildung, lokale Herrschaftsprozesse und kultureller Wandel in der Frühen Neuzeit, in: Ronald G. Asch, dies. (Hrsg.), Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln u.a. 2005, S. 1-47; Achim Landwehr, Policey im Alltag. Die Implementation frühneuzeitlicher Policeyordnungen in Leonberg, Frankfurt/M. 2000.
[3] Vgl. Ingomar Bog, Die bäuerliche Wirtschaft im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Die Bewegungsvorgänge in der Kriegswirtschaft nach den Quellen des Klosterverwalteramtes Heilsbronn, Coburg 1952, v.a. S. 102-166; Frank Kleinehagenbrock, Die Grafschaft Hohenlohe im Dreißigjährigen Krieg. Eine erfahrungsgeschichtliche Untersuchung zu Herrschaft und Untertanen, Stuttgart 2003, v.a. S. 73-204; Christian Plath, Konfessionskampf und fremde Besatzung. Stadt und Hochstift Hildesheim im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (ca. 1580-1660), Münster 2005, v.a. S. 383-419.
[4] Vgl. etwa Rudolf Schlögl, Bauern, Krieg und Staat. Oberbayerische Bauernwirtschaft und frühmoderner Staat im 17. Jahrhundert, Göttingen 1988, v.a. S. 362 f.; siehe auch: John Theibault, German Villages in Crisis. Rural Life in Hesse-Kassel and the Thirty Years‘ War, 1580-1720, New Jersey 1995, v.a. S. 134-220.
[5] Den Erklärungsansatz konfessioneller Identifikation macht v.a. Kleinehagenbrock, Grafschaft Hohenlohe, S. 227 f. u. 314 f., stark.
[6] Die Überlieferung der fürstlichen Amtsverwaltungen findet sich vornehmlich im Staatsarchiv Amberg mit den Beständen „Regierung Amberg“, „Dreißigjähriger Krieg“ und den Repertorien zu den einzelnen Unterämtern. Vor allem zu Religions- und Stellenfragen bietet außerdem der Bestand „Subdelegierte Registratur“, der durch eine bayerische Aufsichtsbehörde angelegt wurde, die Maximilian der anfangs direkt übernommenen kurpfälzischen Regierung vorsetzte,. Daneben finden sich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München die Überlieferung des Hofkriegsrats im Bestand „Äußeres Archiv“ sowie lokale Quellen wie Ratsprotokolle und Kirchenbücher in den entsprechenden Stadt- und Diözesanarchiven.
[7] Karl H.Hörning, Julia Reuter, Doing Culture. Kultur als Praxis, in: Dies. (Hrsg.), Doing Culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis, Bielefeld 2004, S. 9-15; vgl. auch Peter Becker, Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Verwaltung, in: Jahrbuch für europäische Verwaltungsgeschichte 15 (2003), S. 311-336; Birgit Emich, Verwaltungskulturen im Kirchenstaat? Konzeptionelle Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Verwaltung, in: Brakensiek, u.a.: Herrschaft und Verwaltung, S. 163-180; Stefan Fisch, Verwaltungskulturen – geronnene Geschichte?, in: Die Verwaltung 33 (2000), S. 303-323; Andreas Reckwitz,Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie 32/4 (2003), S. 282-301, hier S. 294-296, u.a.
[8] Die Fragestellung orientiert sich an den von André Holenstein vorgeschlagenen „fields of research“ (A.H., Introduction: Empowering Interactions: Looking at Statebuilding from Below, in: Blockmans, ders.,Mathieu: Empowering Interactions, S. 1-31, hier S. 17-24: Einfluss von Untertanen auf Gesetzgebungs- und Verwaltungsakte, soziale Beziehungsnetze und Praktiken der Ortsbeamten, sowie die Nutzung staatlicher Regulierungsangebote für eigene Interessen.
Empfohlene Zitierweise: Johannes Kraus – Der Staatsbildungskrieg vor Ort. Der Dreißigjährige Krieg in der Oberpfalz. In: Dreißigjähriger Krieg Online – Projekte, hg. von Markus Meumann (Online-Ressource; URL: https://thirty-years-war-online.projekte.thulb.uni-jena.de/projekte/johannes-kraus-der-staatsbildungskrieg-vor-ort [Datum des Aufrufs in eckigen Klammern]).