Studien zum Buch als Kriegsbeute im deutschsprachigen Raum des 17. Jahrhunderts

Dissertationsprojekt am Forschungszentrum Gotha, betreut von Prof. Dr. Alexander Schunka (Juniorprofessur für Wissenskulturen der europäischen Neuzeit). Gefördert seit Dezember 2012 mit einem Promotionsstipendium der Universität Erfurt.


1. Themenstellung

In Anbetracht des breiten Spektrums logistischer Möglichkeiten eines Buchaustauschs ergibt sich eine enorme Vielfalt an Erwerbsmöglichkeiten, die zum großen Teil durch einen gut organisierten Buch- und Kunstmarkt hervorgebracht wurden, gleichzeitig jedoch auch durch unfreiwillige Austauschprozesse in Gang gesetzt werden konnten. Bücher wurden verkauft, verschenkt, angeboten, bestellt, abgeschoben, in Auftrag gegeben und nicht zuletzt auch erbeutet. Diese so unterschiedlichen Möglichkeiten, Bücher zu akquirieren, begründen sich dabei nicht allein auf einer rein materiellen Umverteilung dieser häufig kostspieligen und kunstvoll hergestellten Gegenstände: Im Zentrum des Austauschs von Büchern stehen unübersehbar der Transfer und in der Folge der Besitz von Wissen. Eine besondere Klasse dieser Wissensaneignung offenbart sich in der Bemächtigung von Büchern, welche durch Plünderungen, Zwangsabgaben und Entlohnungen als so genannte Kriegsbeute in neuen Besitz überführt wurden.

Eine solche Untersuchung und Beschreibung dieser durch militärisch legitimierte Umstände veränderten Besitzverhältnisse von Buchbeständen soll mein Promotionsvorhaben leisten. In meiner Studie möchte ich der Frage nachgehen, inwiefern die Inbesitznahme sowie der Verlust von Büchern aufgrund kriegerischer Einwirkungen eine besondere Form kultureller Transferbeziehungen darstellten und welche konkreten Folgen sich hieraus für den neu aufgebauten Bestand ergaben.

Der zeitliche Fokus meiner Untersuchung liegt auf dem 17. Jahrhundert, wobei die Periode des Dreißigjährigen Krieges die ausschlaggebenden politischen Rahmenbedingungen zur Erbeutung der von mir untersuchten Buchbestände darstellt, da sich dieser als ein einschneidender Faktor in zahlreichen Büchersammlungen bemerkbar machte – mit zugleich negativen wie positiven Folgen. Konfessionsübergreifend vernichtete der Krieg durch Plünderungen, Auslagerungen, Verteilungen und Auflösungen in gleichem Maße manch traditionsreiche Kunst- und Büchersammlung, eröffnete aber in diesen Momenten zugleich auch Ausgangspunkte für neue Zentren höfischer Traditionen, die sich auf eine neugeschaffene Basis des Besitzes einer bestimmten Form materialisierter Kennzeichen von Herrschaft und Gelehrsamkeit stützen konnten. Mochten die Interessen, Vorgehensweisen und Quantitäten erfolgreicher Sammlungsplünderungen auch variieren, so nahmen diese im Dreißigjährigen Krieg zweifelsohne bislang ungekannte Ausmaße an. Wie weitreichend und doppeldeutig die Schäden solcher Beutezüge sein konnten, wenn sowohl die ideellen als auch finanziellen Werte von Bücherkollektionen in Bewegung versetzt wurden, soll ebenfalls in meiner Studie herausgearbeitet werden. Es zeigt sich in diesem Sinne eine eigenwillige Dynamik, die wie ein Schlagabtausch zwischen Verlust und Revanche erscheint. Der prominente Raub der Heidelberger Bibliotheca Palatina im Jahr 1622 durch ligistische Truppen dürfte dabei wohl zu den bekanntesten Vorkommnissen der Beutegeschichte von Buchsammlungen im Dreißigjährigen Krieg zählen. Bemerkenswert ist hierbei, dass diese gezielte Plünderung wiederum Vergeltungsmaßnahmen nach sich zog, die im folgenden Kriegsverlauf ebenso als wiederkehrende Akte der militärischen Revanche sowie als Möglichkeit der Wissensakquise aufgefasst und als bewusste Bemächtigung von Repräsentationsobjekten verstanden werden können. So blieb bis 1634/35 auch die Plünderung Heidelbergs Teil eines fortgesetzten Revanchedenkens. Kaiserliche und bayerische Truppen plünderten in der Folge die Sammlungen Stuttgarts und Tübingens und reagierten so wiederum ostentativ auf die 1631/32 erfolgten Übergriffe König Gustav II. Adolfs auf Bibliotheken in Franken und Bayern.

2. Gotha als Untersuchungsbeispiel

Meine Arbeit wendet sich zentral dem mitteldeutschen Raum auf der Ebene eines mittleren Fürstenhofes zu. Dies erlaubt es, ein quellentechnisch überschaubares Themengebiet gezielt zu bearbeiten. In diesem Zusammenhang soll das für meine Untersuchung wichtigste Fallbeispiel die herzogliche Büchersammlung auf Schloss Friedenstein im ehemaligen Herzogtum Sachsen-Gotha-Altenburg sein. Gerade diese Bibliothek bietet sich aufgrund der hier existierenden Sammlung für eine solche Forschung an, da in ihrem Gründungsbestand Kriegsbeutestücke auszumachen sind und deren Überlieferungsgeschichte durch eine Vielzahl erhaltener Belege abgesichert ist. Zudem eignet sich die Geschichte der heutigen Forschungsbibliothek Gotha dadurch besonders gut für eine solche Untersuchung, da sich diese ausgehend von einer höfischen Repräsentationssammlung hin zu einer Institution einer Gelehrtengesellschaft entwickelt hat.

In dem noch im Kriegsjahr 1640 unter der Hoheit Herzog Ernst I. (1601-1675) neu errichteten Herzogtum Sachsen-Gotha begründete ein auffallendes Beispiel von Bücherbeute aus Franken und Bayern den parallel stattfindenden Aufbau der neuen Bibliothek. Die frühesten Buchbestände der heutigen Forschungsbibliothek Gotha rekrutierten sich dementsprechend zu Teilen auch aus Kriegsbeutestücken sowie Tributabgaben.

So betont auch das Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland eine „vorerst nicht näher bestimmbare Masse“ von Büchern aus dem ernestinischen Familienbesitz in Weimar, worunter sich auch „Beutegut aus dem Dreißigjährigen Krieg, an dem die Ernestiner auf Seiten Gustav Adolfs teilnahmen“, genannt wird. Namentlich Ernst I. sowie dessen Bruder Bernhard von Sachsen-Weimar (1604-1639) gelang es in der Folge, sich bedeutende Anteile der Kriegsbeute vor allem aus den Städten Würzburg, Mainz und München zusichern, welche den Weg über die Residenzstadt Weimar und schließlich in das ab 1640 neubegründete Herzogtum Sachsen-Gotha fanden.

3. Fragestellung

In meiner Arbeit soll zunächst herausgearbeitet werden, inwiefern durch das Erbeuten von Bibliotheken von einem bewussten Vorgehen gesprochen werden kann, bei dem Bücher und Sammlungen nicht nur aufgrund ihres hohen finanziellen Sachwertes gezielt entwendet wurden. Es ist danach zu fragen, inwiefern das einer Buchsammlung zugekommene Prestige als ein möglicher Grund einer bewussten Bemächtigung begriffen werden kann. Einen bedeutenden Untersuchungsgegenstand stellen hierbei die rechtlichen Grundsätze dar, auf deren Grundlage eine Aneignung gerechtfertigt werden konnte. In diesem Sinne geht es um die Frage der Legitimierung einer Konfiskation zum eigenen Gebrauch. Aus diesem Grund soll auch eine Untersuchung der zeitgenössischen Diskurse über die Kriegsbeute jenseits der täglichen Absicherung des soldatischen Auskommens im Fokus meiner Studie stehen.

Bei der Auseinandersetzung mit dem Transfer von Beutegut möchte ich versuchen darzustellen, wie sich die Existenz einer Bibliothek, welche sich nunmehr aus Bestandteilen anderer überregional bekannter Sammlungen neu zusammensetzte, auf die höfische Selbst- und Fremdwahrnehmung auswirkte. Als wissenschaftlicher Ansatz sollen in diesem Sinne Fragen des Kulturtransfers zugrunde gelegt werden. Dementsprechend möchte ich untersuchen, inwiefern eine Bedeutungsverschiebung zwischen einer beraubten sowie einer begünstigten Partei Folgen für die höfische Wahrnehmung bzw. Traditionsbildung hatte. Konkret soll es um Aspekte frühneuzeitlicher Repräsentation sowie der Wahrnehmung einer fürstlichen Buchsammlung durch bestimmte höfische Teilöffentlichkeiten gehen, welche näher bestimmt werden sollen.

André Bochynski M.A.

Kontakt: Andre.Bochynski(at)uni-erfurt.de


Empfohlene Zitierweise: André Bochynski – Studien zum Buch als Kriegsbeute im deutschsprachigen Raum des 17. Jahrhunderts. In: Dreißigjähriger Krieg Online – Projekte, hg. von Markus Meumann (Online-Ressource; URL: https://thirty-years-war-online.projekte.thulb.uni-jena.de/projekte/andre-bochynski-buecher-als-kriegsbeute [Datum des Aufrufs in eckigen Klammern]).